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Stilisierte Grafik: Skyline einer Stadt

Portrait von Bernhard Staiber
Bernhard Staiber
Portrait von Bettina Maier
Bettina Maier

08.02.2021

Die lebenswerte Stadt – Teil 2: Mobilität

Der erste Teil unserer Reihe „Die Lebenswerte Stadt“ ist eine Bestandsaufnahme der Herausforderungen. Im zweiten Teil packen wir an. Und zwar im wichtigen Bereich Mobilität. Was sind konkrete und realistische Schritte hin zu einer lebenswerten Mobilität?

Mobilität ist ein existenzielles Bedürfnis – wirtschaftlich und sozial

Geprägt wurde sie in den letzten 100 Jahren durch das Automobil. Es brachte uns enorme Effizienz und Freiheit. Im Gegenzug haben wir unsere Städte den Bedürfnissen des automobilen Individualverkehrs und somit dem Ideal der funktionalen Stadt untergeordnet. Weltweit leiden Städte heute unter diesem einseitigen Fokus. Stau, Luftverschmutzung und Lärm sind nur die offensichtlichen Probleme. Ebenso gravierend sind die Benachteiligung von Kindern, Jugendlichen, Älteren und weniger begüterten Menschen.

Wir können jetzt verschiedene technische Maßnahmen ergreifen, um einzelne Symptome zu bekämpfen – wir kennen die Diskussion zu Fahrverboten, Förderung von EVs oder die Projekte zu intelligenter Verkehrsführung. Doch lösen wir damit immer nur Teilaspekte.

Portrait
Bernhard Staiber
„Selbst wenn wir über Nacht alle Verbrenner gegen EVs tauschen würden, wäre unsere Luft wahrscheinlich sauber, aber der Stau verschwindet nicht. Und auch die Ungleichheit bliebe bestehen. Eine echte Lösung muss tiefer gehen und die Probleme bei der Wurzel anpacken.”

Wir haben es nicht mit einer technischen, sondern einer kulturellen Herausforderung zu tun

Die öffentliche Debatte zu Mobilität ist facettenreich und kontrovers. Vereinfacht gesagt prallen hier die Lager der Konservierer und der Utopisten aufeinander.

Konservierer halten am Status Quo fest, um vermeintlich Gewohnheiten der Bürger, Interessen der Industrie oder vergangene Investitionen zu schützen. Der Weg des geringsten Widerstands lässt dabei allenfalls Optimierungen im Detail zu.

Technik-Utopisten sehen in bestimmten zukünftigen Errungenschaften die Lösung aller Herausforderungen: Wenn wir erst Flug-Taxis, autonome Autos oder Hyperloops haben, werden unsere Verkehrsprobleme endlich gelöst sein. Groß denken und beherzt investieren – diese Haltung ist attraktiv und sympathisch. Nüchtern betrachtet funktionieren viele dieser Konzepte zwar in einer perfekten Modellwelt, bedienen aber oft nur Einzelinteressen oder beschwören ganz neue Folgeprobleme herauf (Staus in der 3. Dimension 😱).

Gesellschafts-Utopisten gehen von idealistischen Lebensstil-Modellen aus. Credo: Wenn alle im Homeoffice arbeiten, aufs Fahrrad umsteigen und teilen statt zu besitzen sind alle Probleme gelöst. Auch hier kollidieren wünschenswerte Ziele mit den diffusen, heterogenen Kontexten und Lebensmodellen, die wir in der Realität vorfinden.

Ein Plädoyer für radikale Realisten

Diese Positionen sind also alle auf ihre Art radikal und eindimensional. Sie blenden die komplexe Wirklichkeit aus und ziehen sich auf einen bequemen, tendenziell rechthaberischen Standpunkt zurück. Für spürbaren Fortschritt brauchen wir stattdessen Dialog und pragmatische, inklusive Lösungen. Realisten verbinden das Sinnvolle mit dem Möglichen. Sie vermitteln zwischen Einzelinteressen und Gemeinwohl und streben effektive, nachhaltige Lösungen an. Wie geht das?

Das Sinnvolle

Realisten erfassen und bewerten einen Kontext umfassend und unvoreingenommen. Welche Mobiliätsbedürfnisse und Interessen haben die einzelnen Akteure wie Kommune, Bewohner, Pendler und Wirtschaft? Welche Zwänge und Anreize spielen eine Rolle? Unsere langjährigen Erfahrung mit nutzerzentrierten Prozessen hat uns gelehrt, dass erfolgreiche Dienste und Lösungen nicht im Elfenbeinturm, sondern auf der Straße entstehen.

Das Mögliche

Realisten kämpfen für Lösungen, die sich auch tatsächlich umsetzen lassen. Sie umarmen Vielfalt und denken evolutionär. Alles beginnt mit der Entwicklung einer idealen Zielvorstellung. Die ist aber immer geerdet: Wie können wir vorhandene Infrastruktur optimal nutzen? Welche Schnittstellen sind notwendig, um Neues zu integrieren? Mit welchem pragmatischen Entwicklungspfad erreichen wir unser Ziel? Welche Beteiligten müssen wir auf den jeweiligen Etappen einbinden? Welche Anreize und Kooperationen sind dafür sinnvoll?

Portrait
Bettina Maier
„Was ist jetzt zu tun? Wir sehen fünf realistische Maßnahmen, um die Mobilität unserer Städte nachhaltig zu erneuern.”

1. Ein neues Zeitalter des öffentlichen Nahverkehrs

Der neue Star unserer zukünftigen Mobilität fährt seit Jahren weitestgehend unbemerkt auf unseren Straßen. Er ist in Vergessenheit geraten und meist unbeliebt im Vergleich zu seinen Alternativen. Dabei ist er doch hocheffizient, individuell einsetzbar und schnell elektrisierbar: Es ist der Bus. Verglichen mit einzelnen PKWs haben Busse einen erheblich kleineren Platzbedarf und machen – bei überschaubaren Investitionskosten – von Kindern bis Senioren viele Menschen mobil.

Doch wollen wir den Großteil der Bevölkerung vom Umstieg überzeugen, müssen wir den öffentlichen Verkehr und vor allem den Bus neu erfinden. Die Frage, ob man öffentliche Verkehrsmittel oder Auto nutzt, darf sich nicht mehr stellen. Wir müssen den öffentlichen Verkehr so gestalten, wie wir es in den letzten 100 Jahren mit dem Individualverkehr getan haben: kundenzentriert.

„Frequency is Freedom.”
Walker J. (2012) Frequency Is Freedom. In: Human Transit. Island Press, Washington, DC

Damit der Bus in der Stadt von einer breiten Bevölkerungsschicht als Alternative zum Individualverkehr akzeptiert wird, braucht es hohe Taktzeiten und ein dichtes Liniennetz. Städte wie Reutlingen zeigen, dass dies nicht nur in Vorzeige-Metropolen wie Barcelona möglich ist.

Durch ein Upgrade des öffentlichen Nahverkehrs schaffen Städte die robuste Basis in einem immer kleinteiligeren modalen Mix. Je konsequenter der Ausbau erfolgt desto größer ist der Entlastungseffekt. Beispielsweise durch separate Spuren oder die direkte Anbindung anderer Verkehrsmittel über Mobilitäts-Hubs. Halbherzige und unterfinanzierte Maßnahmen führen uns hier in die falsche Richtung. Dagegen liegt in Public Private Partnerships zwischen Verkehrsverbünden und Unternehmen großes Potenzial für sinnvolle und wirtschaftliche Lösungen.

2. Raum für Mikromobilität schaffen

In der Nische zwischen Fußgänger und Auto haben sich in den letzten Jahren immer vielfältigere Verkehrsmittel für alle Zwecke und Altersgruppen einen Platz erobert. Wo früher praktisch nur das Fahrrad zu finden war hat die Elektrifizierung Pedelecs, E-Scooter und viele neue Transportmittel auf die Straßen gespült. Es gibt also eine Menge Alternativen zum ÖPNV und dem eigenen Auto. Sie werden die innerstädtische Mobilität aufgrund des geringeren Platzverbrauchs nachhaltig entlasten.

Das Problem: Unsere Infrastruktur ist darauf nicht vorbereitet. Sowohl auf der Straße als auch auf Gehwegen sorgt das Kräfteungleichgewicht zu anderen Verkehrsteilnehmern für Gefahr, weshalb sich diese neuen Spieler auf den Radwegen sammeln. Diese Schicht für mittlere Geschwindigkeiten ist jedoch noch nicht für Wachstum und Vielfalt ausgelegt. Damit die Menschen mit einem guten Gefühl auf Mikromobilität umsteigen, müssen wir diesen Verkehrsmitteln in der städtischen Infrastruktur deutlich mehr Raum und ein dichtes, unterbrechungsfreies Wegenetz zugestehen.

Der Ausbau der Infrastruktur für Mikromobilität erhöht die Resilienz von Städten, er fördert die Gesundheit der Einwohner und sorgt langfristig für weniger Flächenverbrauch. Die gute Nachricht: Dafür braucht es nicht unbedingt eine Menge Investitionen. Gute Beispiele von New York über Kopenhagen bis Tirana zeigen, dass es vor allem auf den politischen Willen, Überzeugungskraft und Entschlossenheit ankommt.

3. Das Ende der funktionalen Stadt: Gemischte Quartiere schaffen

Einen langen Atem benötigen wir beim Ziel, den Bedarf an Mobilität generell zu senken, also Verkehr zu vermeiden. Nachhaltige Stadtplanung wirkt der lange praktizierten extremen Entmischung von Leben und Arbeiten durch die Entwicklung gemischter Quartiere entgegen: Ein Alltag mit kürzeren Wegen reduziert automatisch den innerstädtischen Verkehr. Diese vorausschauende Maßnahme ist so attraktiv, weil sie nicht nur ohne Verbote und Einschränkungen auskommt, sondern darüber hinaus das Gemeinschaftsgefühl der Menschen und ihre Identifikation mit dem Quartier stärkt. Sie wirkt zwar langsam, aber umso gewaltiger.

4. Einen neugierigen Blick über den Tellerrand wagen

Eine technisch simple aber kulturell durchaus schwierige Maßnahme ist das gemeinsame Anerkennen, dass deutsche Städte schon lange keine Modellstädte für die Zukunft der Mobilität mehr sind. Wir müssen also die Brille der Überheblichkeit absetzen und von bereits etablierten Mustern aus aller Welt schnell lernen. Und davon gibt es reichlich: die Seilbahnen von Medellín, die Superblocks in Barcelona und die konsequente Radpolitik in Kopenhagen.

5. Maßnahmen messen, in Echtzeit visualisieren und kommunizieren

Für all diese Maßnahmen gilt ein wichtiger Grundsatz: Bauchgefühle durch objektive, messbare Ergebnisse und Kennzahlen ersetzen. Wenn positive Effekte von Maßnahmen im Stadtbild möglichst schnell sichtbar werden, so verankern wir sie nachhaltig. Denn es braucht Zeit, bis Menschen gewohnte Trampelpfade verlassen. Wir dürfen daher nicht vorschnell urteilen, müssen genau messen und klug visualisieren, wie sich Infrastruktur durch unsere Maßnahmen tatsächlich verändert. Dazu braucht es neue Systeme der Datenerfassung und -visualisierung. Intelligent genutzt wecken Sie in uns Menschen den stärksten Initiator für Veränderung: die Neugierde.

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