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Stilisierte Grafik: Skyline einer Stadt

Portrait von Bernhard Staiber
Bernhard Staiber

14.03.2019

Die lebenswerte Stadt – Wo liegt eigentlich das Problem?

Städte sind ein unglaubliches Erfolgsmodell. Entstanden als Orte, an denen man frei leben und Handel treiben konnte, boten sie von Anfang an den entscheidenden Nährboden für Demokratie, Kreativität und Wohlstand. Kein Wunder also, dass mittlerweile mehr als die Hälfte der Menschen weltweit in Städten wohnen, Tendenz stark steigend.

Als Organismus stehen Städte vor ganz ähnlichen Herausforderungen wie Staaten. Aber sie können deutlich schneller und individueller darauf reagieren. Dieser lokale Hebel zur Lösung globaler Herausforderungen ist es, der uns an Städten fasziniert. Diese Erkenntnis war der Auslöser für eine neue Forschungs-Initiative: „Die lebenswerte Stadt“. Durch Recherchen, Gespräche und Reisen wollen wir tiefe Einblicke in die Herausforderungen des Systems Stadt gewinnen. Wir begeben uns auf die Suche nach erfolgreichen Mustern, neuen Mitstreitern und Gestaltungsmöglichkeiten. Im Rahmen dieser Artikelserie werden wir von unserer Entdeckungsreise berichten.

Von „smart“ zu „livable“

Verbringt man einige Zeit auf Veranstaltungen wie der Smart City Expo in Barcelona wird deutlich: Das Gespenst der „Smart City“ geht um in den Rathäusern und Unternehmenszentralen… Der Technologie-getränkte Blick auf die Stadt scheint dabei wichtige Fragen zu vernebeln. Denn es geht nicht darum, digitale Technologien um ihrer selbst willen auf alle denkbaren Bereiche anzuwenden. Im Gegenteil: wir sind fest davon überzeugt, dass sich die Logik umkehren muss und wir wichtige Zukunftsfragen in der richtigen Reihenfolge stellen müssen. Wie wollen wir zusammenleben? Was macht eine lebenswerte Stadt aus? Erst dann sollte sich die Frage stellen, wie Technologie uns helfen kann, diese Ziele zu erreichen.

Im ersten Teil unserer Serie möchten wir daher zunächst eine Bestandsaufnahme durchführen. Wir wollen verstehen mit welchen Herausforderungen sich Städte rund um den Globus derzeit konfrontiert sehen.

Herausforderung 1 — Dysfunktionale Mobilität

Der hohe Druck des individuellen Automobilverkehrs ist eine universelle Herausforderung, die nahezu jede Stadt geißelt, die wir in unseren Recherchen kennenlernen durften. Häufig wird das als alternativlos hingenommen – aus Angst vor dem Verkehrskollaps und vor allem vor einem Aufschrei der Bevölkerung, die Komforteinbußen befürchtet. Die Straße als natürliches Territorium für das Auto zu verstehen – sei es fahrend oder parkend – hat sich als Selbstverständlichkeit in unserem kollektiven Bewusstsein verankert. Dabei liegen große Chancen darin, diese Gewissheiten aufzubrechen. In einem zukünftigen Artikel möchten wir einige der Alternativen näher betrachten.

Herausforderung 2 — Soziale Ungleichheit

Neben Verkehrsproblemen hat sich in vielen Metropolen nicht zuletzt eine Entmischung von Milieus entwickelt. In der Peripherie entstanden anonyme Wohnutopien mit sozialen Problemen einerseits und ein wohlhabendes Suburbia andererseits, das in Zersiedelung und Isolation mündet. Wegen der ungleichen Verteilung der Infrastruktur (Schulvielfalt, Kinderbetreuung, öffentliche Plätze) verzerrt das die Chancen der Bevölkerung, schwächt den Zusammenhalt und entfacht gesellschaftliche Spannungen. Mittlerweile mischt auch der kühl kalkulierende Finanzmarkt ordentlich mit. Indem Wohnraum zum Anlageobjekt verzerrt wurde, bringen renditeorientierte Investorenprojekte gewachsene Nachbarschaftsstrukturen ins Wanken. Nach den großen Städten greift dieser Trend offensichtlich auch auf Mittelstädte über.

Challenge 3 — Climate Change

In den letzten Jahren nehmen extreme Wetterphänomene spürbar zu. Je nach Weltregion kämpfen Städte mit ausgeprägteren Sturmperioden, Überschwemmungen oder Dürren. Besonders der globale Süden ist davon betroffen, oft ohne direkten Einfluss auf die Ursachen nehmen zu können. Aber auch Städte wie Athen, Yokohama oder Los Angeles stemmen sich regelmäßig gegen verheerende Waldbrände. Sie müssen Wege finden, langfristig mit dieser Bedrohung umzugehen und widerstandsfähige Strukturen zu entwickeln. Zusammenschlüsse wie 100 Resilient Cities zeigen die globale Dimension der Herausforderung – aber auch Wege, wie Städte überstaatlich kooperieren und erfolgreiche Strategien teilen können.

Herausforderung 4 — Den Wandel finanzieren

Die Aufgaben sind also immens und erfordern erhebliche Investitionen, in gebaute Infrastruktur genauso wie in digitale Ökosysteme. Wer soll das bezahlen? Für die wenigsten Städte wird die Finanzierung alleine zu stemmen sein. Ein großes Potenzial liegt deshalb in Kooperationen, zum einen zwischen Städten, zum anderen aber auch mit der Privatwirtschaft. Im letzteren Fall müssen die Städte einen klaren Blick für deren Tragweite und Implikationen haben, da sich die Interessen der Partner durchaus widersprechen können: Welche Geschäftsmodelle stehen dahinter? Wem gehören die Daten? Bindet man sich dauerhaft an eine Technologie? Ein freier Markt alleine wird vermutlich keine freie, offene, lebenswerte Stadt schaffen – die Kommunen müssen klare Leitplanken setzen und für einen fairen Interessenausgleich eintreten.

Herausforderung 5 – Die Verflechtung der Herausforderungen

Eine der größten Problematiken entsteht dadurch, dass alle bereits genannten Herausforderungen stark miteinander verflochten sind. Dysfunktionale Mobilität führt zu sozialer Ungerechtigkeit. Will man den Individualverkehr eindämmen, so entsteht unter Umständen neue Ungerechtigkeit. Ein Geflecht, das Verantwortlichen in den Städten vermeintlich wenig Handlungsspielraum lässt.

Fokus

Es gibt also eine Menge Faktoren, die die Städte zur Veränderung drängen. Bei allem scheint der Schlüssel für sinnvolle Initiativen im richtigen Fokus zu liegen: Wie können wir für unsere Bevölkerung – quer durch alle Milieus – das bestmögliche Umfeld schaffen? Mit diesem Ziel vor Augen wird sich der Blick auf eingefahrene Muster verändern. Das wirkt sich nicht nur auf die Agenda der Stadtplanung aus, sondern auch auf Haltung und Ansprüche der einzelnen Bürger. Konkrete Bedrohungen abzuwenden ist dabei nur der erste Schritt. Interessant wird es vor allem dann, wenn wir ein paar einfache Fragen zulassen:

  • Im Großen: Was macht eine Stadt lebenswert?
  • Im Kleinen: Was trägt dazu bei, dass es mir und meiner Familie gut geht?

Keine Stadt ist wie die andere

Die Lösungswege sind so vielfältig wie die Städte selbst. Dennoch lassen sich gewisse Muster in verschiedenen Weltregionen erkennen. Die Golfstaaten scheinen ein dankbares Testfeld für aufwendige, Technologie-zentrierte Lösungen zu sein – auch wenn das gelegentlich verstörende Blüten treibt. Im progressiven Teil Asiens wird Innovation durch staatliches Management in hohem Tempo und mit teils krassen Konsequenzen initiiert, wie zum Beispiel in Singapur oder China. Skandinavien lebt dagegen eine Kultur des intensiven Diskurses mit co-kreativen Formaten, die die Bevölkerung aktiv einbezieht. Und in Mittel- und Südeuropa gibt es große Unterschiede im Umgang mit den Herausforderungen. Fortschrittliche Städte wie Barcelona, Wien, Tallinn oder Tirana stehen Städten gegenüber, die in alten Strukturen feststecken. Oft verhindert die Wohlstandsfalle, dass der Status Quo nicht angetastet wird. Die gute Nachricht aber ist: Städte sind wie kleine Staaten – innerhalb ihrer Grenzen haben sie großen Einfluss und können viel in relativ kurzer Zeit bewegen. Indem sie die großen Herausforderungen beherzt und optimistisch angehen, können sie ganze Länder durch ihr Vorbild mitreißen.

Im nächsten Teil der Serie Die lebenswerte Stadt widmen wir uns der Frage, wann und wie Veränderung in die Stadt kommt und welche Impulse dafür notwendig sind.

Interesse an Dialog?

Sie sind Stadtplaner_in oder Macher_in im öffentlichen Bereich oder privaten Sektor? Schreiben Sie uns – wir freuen uns auf den persönlichen Austausch über die Chancen der Städte von morgen.

Weiterlesen: Die lebenswerte Stadt – Teil 2: Mobilität